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Ein Gespräch mit Nail Çakýrhan 

(Auszug aus der "Lykia Post" März 1998, Nr.7)

 Heute sind wir zu Gast bei Nail Çakýrhan, der entscheidend den Baustil in Gökova-Akyaka beeinflusst hat.

Nail Çakýrhan wurde 1910 im Kreisstädtchen Ula in der Provinz Muðla geboren. Sein genaues Geburtstagsdatum ist ungewiß, nach Angaben seiner Mutter war es kalt, also könnte er um den Jahreswechsel geboren sein. Als Sohn gutsituierter Eltern wurde ihm eine sehr gute Schulbildung ermöglicht. Schon mit 47 Jahren gibt er eine Zeitung heraus, schreibt Gedichte und Prosa. An der Universität in Istanbul studiert er lustlos ein Jahr Medizin und ein Jahr Jura, widmet sich dann aber dem Schreiben. Er lernt Nazim Hikmet kennen und gibt mit ihm gemeinsam einen Gedichtband heraus. 1932 wegen kom­munistischer Propaganda verhaftet, wird er 1935 amnestiert und geht nach Moskau ins Exil. Nach seiner Rückkehr 1939 arbeitete er wieder als Journalist. Er heiratet die Archäologin Halet Çambel, durch die er einen Zugang zur Architektur findet. 1947 baut er ein Museum, dessen eigenwilliger Stil und Bauausführung weithin Anerkennung findet. Weitere Aufträge folgen. Sein Haus, das er sich in Akyaka baute, erhält einige Jahre später den Aga-Khan Preis für traditionelles Bauen. Er entwirft Hotels und Feriendörfer in Fethiye, Datça, Dalyan und Akyaka, die Komfort und Tradition wohltuend vereinen. 


LYKÝA Post: Nail, wir möchten Sie heute bei den Lesern unserer deutschsprachigen ,,LYKÝA Post" vorstellen.

Nail Çakýrhan: Da hättet Ihr besser mit meiner Frau gesprochen, die kann perfekt deutsch, sie ist in Berlin geboren und aufgewachsen, ihr Großvater war Botschafter in Berlin.

LYKÝA Post: Wann war das?

Nail Çakýrhan: Noch zu Sultans Zeiten. Später sind sie dann nach Österreich gezogen, und als die Republik ausgerufen wurde wieder in die Türkei. Halets Vater war ein Freund von Mu­stafa Kemal Atatürk.

LYKÝA Post: Haben Sie je Atatürk getroffen?

Nail Çakýrhan: Ich habe ihn natürlich gesehen, schon von der Zeitungsarbeit her, aber wir hat­ten keinen persönlichen Kontakt. Mit Inönü war ich befreundet, Ismet Paþa kam oft in unser Haus.

LYKÝA Post: Für welche Zeitung haben Sie gearbeitet?

Nail Çakýrhan: Zuerst für die ,,Cumhüriyet", danach bei der ,,Tan". Die ,,Tan" war insofern wichtig, als damals, Mitte der vierziger Jahre das Einparteiensystem der Türkei ins Wanken kam und die ,,Demokrat Partisi" gegründet wurde, die wir unterstützten. Nicht weil wir gegen die Regierung waren, sondern um überhaupt eine zweite Partei, eine Opposition zu haben. Danach kam die Zeitung ,,Görüþler", die auf Anhieb eine Auflage von 50.000 Exempla­ren erreichte, sehr viel, wenn man bedenkt, daß die ,,Cumhüriyet" und ,,Tan" zusammen eine Auflage von 15.000 Stück erreichten. Das waren bewegte Zeiten. Unsere Druckerei wurde einmal kurz und klein geschlagen, die gerufene Polizei beschützte die Geschäfte in der Nachbarschaft, und ich bin nur mit knapper Not übers Dach entkommen.

LYKÝA Post: Wann haben Sie mit der Zeitungsarbeit angefangen?

Nail Çakýrhan: Anfang der 30er Jahre. 1932 kam ich ins Gefängnis.

LYKÝA Post: Weshalb?

Nail Çakýrhan: Politische Gründe. 1935 wurde ich im Zuge einer Amnestie entlassen und ging nach Rußland. Dort erhielt ich einen Emigrantenaus­weis und Asyl. Ich bekam Arbeit - jeder mußte arbeiten - eine Wohnung und die Hilfe, die ich für den Anfang brauchte. Wir wurden von einer Organisation betreut, die von Spenden aus aller Welt getragen wurde. Die Hilfe, die ich erhielt, kam vielleicht aus Amerika oder Afrika, wer weiß? Ich arbeitete in einer Textilfabrik, abends waren Gesprächskreise mit anderen Emigranten, wir wurden auch darauf vorbereitet, wieder in unsere Länder zurückzukehren. Ich habe dort Tito, Wilhelm Pieck und manchen anderen getroffen, der später bekannt geworden ist. Da war auch ein Chinese, ich habe seinen Namen vergessen, aber er wurde später chinesischer Außenminister. Gottwald, ein Tscheche wurde nach dem Krieg Staatspräsident. Da waren viele. Alle hatten Decknamen. Nur wer miteinander befreundet war, kannte den richtigen Namen des Anderen.

LYKÝA Post: Wie war Ihr Deckname?

Nail Çakýrhan: Kola, warum, weiß ich nicht, aber ich war Kola. Diese Namen waren zu unserem Schutz, damit politische Gegner uns nicht so einfach finden konnten. In meinem Ausweis stand als Herkunftsland Griechenland. Wir wurden auch respektvoll behandelt. Bei Kontrollen oder anderen Gelegenheiten war der Emigrantenausweis eine Empfehlung. Ich habe auch unter dem Na­men Kola geheiratet und bin Vater eines Sohnes geworden.

LYKÝA Post: Aber Sie sind doch dann wieder weggegangen?

Nail Çakýrhan: Ja, als es überall in Europa nach Krieg roch, wollte jeder plötzlich nach Hause, wollte etwas tun, für sein Land kämpfen und helfen. Ich wollte auch wieder zurück in die Türkei. Meine Ehe wurde problemlos geschieden. Viel später, 1970 konnte ich mich nach meinem Kind erkundigen und habe erfahren, daß bis zum Ende der Ausbildung der Staat eine Beihilfe geleistet hatte. Sie hatten zumindest keine materiellen Pro­bleme.

LYKÝA Post: Wann haben Sie Ihre jetzige Frau kennen gelernt?

Nail Çakýrhan: 1938, Sie kam aus Paris, wo Sie an der Sorbonne studiert hatte. Ein Jahr später haben wir geheiratet. Ich war ja geschieden. Halet hat auch meine erste Frau kennen gelernt, sie heißt Tais. Meine Frau hat sie gefunden, was nach all den Jahren nicht einfach war. 

LYKÝA Post: Was haben Sie nach Ihrer Rückkehr in die Türkei getan?

Nail Çakýrhan: Geschrieben, gegen den Krieg, gegen Ungerechtigkeit und Armut. Wir sind auf diese Aufgabe vorbereitet worden. Wir sollten auch zurückkehren, das war der Sinn unserer Emigration. Der Bruder Wilhelm Piecks, woll­te nicht zurück. Er kam dann am Ende nach Sibirien...

LYKÝA Post: Wann haben Sie mit der Zeitungs­arbeit aufgehört?

Nah Çakýrhan: Das war ungefähr 1950. Ich habe dann mit dem Bauen begonnen. Mein erster Bau war das Museum in Karatepe bei Adana. Da ich kein Architekt bin habe nicht die Pläne gezeichnet, sondern nur den Bau errichtet. Aber bei der Bauausführung habe ich einiges geändert und nach meinem Verständnis gemacht. Das hat einigen Leuten so gefallen, daß ich sofort neue Aufträge bekam. Die brauchte ich auch, weil ich ja sonst kein Geld verdient hätte. Danach kamen Bauten in Ankara, so ging das weiter.

LYKÝA Post: Sie haben letztes Jahr in dem Film ,,Mektup" (Der Brief) mitgespielt?

Nail Çakýrhan: (Lacht) Ja. das war lustig, die wollten eigentlich Antony Quinn, aber der hat so viel Geld verlangt, da haben sie mich genommen. Ich habe das umsonst gemacht. Der Regisseur ist ein Freund von mit. Leider kann ich nicht singen, sonst könnte ich das auch versuchen.

LYKÝA Post: Warum kamen Sie nach Akyaka?

Nail Çakýrhan: Weil ich hier zu Hause bin. Ich wurde krank und brauchte Ruhe, die Ärzte meinten, ich sollte überhaupt nichts mehr tun. Geld hatte ich durch meine Arbeit genug verdient. Ich kaufte in den sechziger Jahren für 20.000 Lira ein Grundstück. Hier war ja noch nichts, kein Haus, nur ein paar Fischer, und weiter oben ein kleines Dorf.

LYKÝA Post: Für das Haus, das Sie gebaut haben. erhielten Sie den Aga-Khan Preis?

Nail Çakýrhan: Ja, aber erst 14 Jahre später, das war1953. Ich wußte gar nichts davon. Jemand hat mich wohl vorgeschlagen. Die Preisrichter haben sich, ohne daß ich etwas davon gemerkt habe das Haus angesehen. Dann kam ein Fragebogen. auf Englisch, meine Frau hat ihn ausgefüllt zurückgeschickt, wir hatten gar nicht mehr daran gedacht. Irgendwann kam ein Anruf daß ich den Preis gewonnen hätte. Aus 400 Vorschlägen haben sie mich ausgesucht. Das Preisgeld betrug 50.000 Dollar. Das kam mir gerade recht.

LYKÝA Post: Gab es auch noch andere Preisträger?

Nail Çakýrhan: Ein Preisträger kam aus Afrika. Er hatte eine Moschee gebaut, keine Schuhe an den Füßen und nie Architektur studiert. Der Preis ist für Bauten in osmanischer und moslemischer Tradition bestimmt, es kommt nicht so sehr  auf technische Perfektion an.  Die Aussage, die Seele des Gebäudes ist wichtig.

LYKÝA Post: Wird der Preis auch heute noch vergeben?

Nail Çakýrhan: Er wird bis zum Jahre 2000 vergeben werden.

LYKÝA Post: Sie sind kein Architekt, wie machen Sie Ihre Projekte?

Nail Çakýrhan: Ich erkläre einem Architekten, wie ich mir ein Haus vorstelle, er zeichnet es dann für mich und ich baue es. Ich weiß ja sowieso was ich will, der Plan ist nicht so wichtig. Das Gebäude ist in meinem Kopf.

LYKÝA Post: Womit beschäftigen Sie sich zurzeit?

Nail Çakirhan: Mit Bauen, was sonst? Zurzeit baue ich ein kleines Heimatmuseum in Akyaka auf meinem Grundstück. Aber ich lasse es langsam angehen.

LYKÝA Post: Sie haben den Baustil in Akyaka entscheidend geprägt, was denken sie, wenn Sie sich ,,Ihr Dorf" heute anschauen?

Nail Çakýrhan: Wann immer Geld und Gewinn ins Spiel kommt, wird es bedenklich. Ich habe immer gebaut, um schöne freundliche Häuser zu schaffen, das Geld stand nie im Vordergrund, obwohl ich es brauchte. Wer nur auf maxima­len Profit achtet, kann nicht menschen- oder wohnfreundlich bauen. Da helfen auch ein paar verzierte Bretter, die man an die Decke nagelt, nicht viel.

LYKÝA Post: Wir danken ihnen für dieses interessante Gespräch und wünschen Ihnen für die Zukunft Gesundheit, und daß sie alle Ihre Plä­ne verwirklichen können. 

 Das Gespräch mit Nail Çakýrhan führte Thomas Schmitz

 

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