AKYAKA WIRD NAÝL ÇAKIRHAN NICHT
VERGESSEN
(Teoman Ünüsan – Übersetzung:
Bahar Suseven)
Nail Çakýrhan kam 1968 nach Akyaka, ein paar Monate nachdem ich mein Amt als
Landrat in Ula angetreten hatte. Die Leute betrachteten ihn mit Argwohn; der war
im Gefängnis, der ist Kommunist, der ist einer von denen, die mit Nazým (Nazým
Hikmet, Anm.d. Übersetzerin) nach Rußland geflohen sind, hieß es über ihn. Doch
waren es wiederum die ganz normalen Leute, die ihn zuerst als den aufrichtigen
und guten Menschen erkannten, der er war. Eben daß er gar nicht über Politik
redete und damit geradezu über dem politischen Tagesgeschehen stand, brachte ihm
Respekt ein. Mit den Edikten zum 12. März (1970'er Putsch, Anm. d. Übersetzerin)
begann in der Türkei die Zeit der Kommunistenjagd. Die meisten Landräte,
Gouverneure und Polizeichefs ließen Linke in ihren Regierungsbezirken verhaften
und fortschaffen. Nail Çakýrhan zog sich in dieser Zeit mehr zurück, ich habe
ihn jedoch in dieser Zeit nie allein gelassen und stand ihm immer bei. Dieses
Land hatte ihm genug Unrecht getan, das sollte so nicht weiter gehen. Trotzdem
gab es immer wieder Anzeigen. So auch, daß im Kamin seines neu erbauten Hauses
eine Funkantenne versteckt sei, mit deren Hilfe er mit Rußland in Kontakt stehe.
Dem konnte ich entgegensetzen, daß ich mich jeden Tag in seinem Haus aufhielte
und es eine derartige Antenne oder Ähnliches nicht gab. 2, 3 Jahre lang trafen
wir uns fast jeden Tag und redeten viel. In dieser Zeit habe ich ihn sehr gut
kennen gelernt.
Über Nail Çakýrhan sind Bücher und Artikel geschrieben, Fernsehreportagen und
Dokumentationen gemacht worden- das war mir immer alles zu trocken. In keinem
dieser Werke fand ich den wirklichen Nail Çakýrhan. Sie beschrieben nur
Stückwerke seines Lebens, ohne Begeisterung, ohne seinen Geist zu erfassen.
Halet Çambel (Nail Çakýrhan's Frau, Anm.d. Übersetzerin) sagt immer wieder, ich
würde Nail am besten von allen kennen. Etwas Ähnliches drückte ich dann auch in
dem kurzen Gedicht aus, daß ich über ihn geschrieben habe.
Ohnehin glaube ich, daß es eine sehr schwierige Aufgabe ist, über Nail Çakýrhan
zu schreiben. Um ihn zu verstehen, zu fühlen, was er fühlte, mußte man viel Zeit
mit ihm verbringen, sensibel und intelligent sein.
Ich weiß ja, daß es Ihnen wahrscheinlich nicht viel sagt, wenn ich behaupte, daß
Nail Çakýrhan sowohl Chef als auch Diener der Nail-Halet-Union war. Aber genau
deshalb kann man ja auch kein Buch über Nail Çakýrhan alleine schreiben.
Genausowenig wie ein Buch über Halet Çambel auch Nail Çakýrhan's Leben
beschreibt. Ich kann direkt hören, wie Sie denken, daß ich spinne.
Nail Çakýrhan war hart, hatte aber ganz weiche Seiten; war stur, aber
gleichzeitig anpassungsfähig; demokratisch, aber gleichzeitig fast nötigend,
wenn es darum ging seine Ansichten durchzudrücken; sehr liebevoll, aber
fanatisch ablehnend, wenn er etwas oder jemanden nicht mochte. Ausserdem fiel
die Entscheidung, ob er jemanden mochte oder nicht immer schon in den ersten
Minuten des Kennenlernens. Was Nail Çakýrhan überhaupt nicht leiden konnte war
Dummheit. Er hatte keinerlei Geduld mit dummen Menschen und konnte sich
ernstlich und nachhaltig über sie aufregen.
Seine Ansichten über die Türkei legte er auf eine Art und Weise dar, die sehr
aus dem Rahmen fiel und ihn deutlich von der Masse abhob. Weil er nicht wie
jeder von uns, eine Menge unsinniger Bücher las und keine sinnlosen
Fernsehprogramme ansah, war sein Geist rein. So konnte er Geschehnisse objektiv
beurteilen und seine dahingehende Meinung klar und einfach darbringen.
Was machte Nail Çakýrhan groß? Wohl doch, daß er mit seinen architektonischen
Entwürfen und deren Verwirklichungen Akyaka gleichsam erschuf. Während in der
ganzen Türkei Ortschaften von unschönen Bauwerken verschandelt wurden, blieb
Akyaka der einzige Ort, wo das anders war. Ein Ort sollte den Geist seiner
Vergangenheit mit Zement, Eisen und Kalk gleichsam untermauern. In Anatolien ist
dieser Geist der Geist der sich mit den Lykiern, den Hethitern entwickelte.
Wenn jemand mit einer Bauidee and Nail Çakýrhan herantrat, fing er sofort an,
sie zu skizzieren, auf was immer ihm gerade in die Hände fiel. Und während er
noch vor sich hinstrichelte, nahm die Idee gleichsam Form an, wurde greifbar. Es
ist schwierig das zu erklären. Wie ein Dichter, ein Maler, dessen Werke noch am
Horizont schwebend schon in seinem Kopf Gestalt annehmen, wurden auch seine
Werke stofflich, und der Erschaffer zunehmend angespannter. Er hat niemals an
die kommerziellen Seiten gedacht. Er war der ehrlichste Mensch, den ich je
gekannt habe, ein wahrer Künstler. Seine Planzeichnungen waren immer sehr
entschlossen. Er machte nie Zugeständnisse; die Schönheit, die in ihm Form
annahm wurde stur in die Tat umgesetzt. Wenn man ihn zum Beispiel darauf
hinwies, daß die Türen eines Bauplanes zu eng waren, so daß man keinen
Kühlschrank oder Ähnliches hindurch transportieren konnte, war seine Antwort
"Dann müßt Ihr dafür die Wand aufbrechen", aber die Türpläne wurden nicht
verbreitert…
Architekt oder kein Architekt, das Thema wurde natürlich in unseren
Architektenkreisen andauernd diskutiert; daß der Aga Khan Preis für Architektur
an jemanden verliehen wurde, der eigentlich kein gelernter Architekt war, wurde
oft hinterfragt. Wir haben tatsächlich große Architekten und Städteplaner. Aber
niemand anders hat mit seinen Plänen, seinen Bauwerken, so außerordentlich sie
auch waren, einer ganzen Stadt gleichsam seinen Stempel aufdrücken können. Sie
blieben ein Bauwerk, ein Plan. Was Nail Çakýrhan so anders machte war eben
dieser Unterschied.
Akyaka's erster Bebauungsplan wurde von der Provinzgeneralbank in Auftrag
gegeben. Zu dieser Zeit war ich der Generaldirektor dieser Bank. Zur
Verwirklichung des Planes beauftragte ich die besten Architekten und gab ihnen
den Auftrag nach Akyaka zu gehen und mit Nail Çakýrhan zusammen zu arbeiten. So
entstand der Plan tatsächlich unter Nail Çakýrhan's Aufsicht. Das hat ihn sehr
glücklich gemacht. Dieses Glücksgefühl beflügelte ihn, seine Gedanken von der
Planung eines Hauses zur Planung einer ganzen Stadt zu wenden.
Alles dies führte dazu, daß Nail Çakýrhan's Bauplätze gleichsam zum Atelier, zur
Schule wurden…So konnte er auf die Ausbildung von vielen jungen Architekten
Einfluß nehmen. Sie lernten von ihm, was immer sie konnten. Wenn sie nur auch
seine Sturheit und seinen Eigensinn hätten erlernen können…Wenn sie den
sozioökonomischen Einflüssen nicht erlegen wären…Wie auch immer haben seine
Prinzipien doch einen Eindruck hinterlassen und dazu geführt, daß Akyaka
zumindest nicht völlig kaputt gemacht wurde. Ausserdem hat Nail Çakýrhan Zeit
seines Lebens eigensinnig für den Erhalt Akyaka’s gekämpft.
Daß er die letzten Tage seines Lebens in seiner Heimat verbringen konnte, war
Hamdi Yücel zuzuschreiben.
Wir haben von Nail Çakýrhan an einem Tag im Herbst Abschied nehmen müssen.
Ich war in seinen letzten Tagen bei ihm. " Ich weiß, daß es von hier keinen
Ausweg gibt!" hat er zu mir gesagt.
Aber was mich am Meisten berührt hat, war der Einklang der Klarheit seines
Geistes, und der Reinheit und Lebendigkeit seines Ausdrucks und die Art wie er:
"-Halet... Halet... Halet..." rufend sich versicherte, daß seine Lebensgefährtin
bei ihm war. Dieser Klang, die Worte und der Tonfall teilten alle seine Gefühle
mit. Die Ohnmacht und Wut über seine Krankheit und den Tod, seine Liebe zu Halet
Çambel…
Akyaka sollte seinen Erschaffer nicht vergessen. Wenn wir Nail Çakýrhan noch mal
ein Denkmal setzen, sollte daneben das Denkmal von Halet Çambel stehen, Hand in
Hand.
Teoman ÜNÜSAN
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