NAÝL ÇAKIRHANÜbersetzt nach einem Essay von NURSEL DURUELDichtung und Architektur sind seine produktivsten Seiten. Nail Çakýrhan schrieb bereits in frühester Jugend Gedichte, später dann entstand auch seine Liebe zur Architektur und er ist bis heute aktiv. Er ist eine Kämpfernatur. 1930 entstand in Zusammenarbeit mit Nazým Hikmet sein Gedichtband 1+1=Bir (1+1=Eins), allerdings benutzte er in diesen Jahren bis 1940 für die in verschiedenen Zeitschriften erscheinenden Gedichte den Namen Nail V., weil man ihn in der Literatur besser unter diesem Namen kannte. "Eski Tüfekler" Als "Altes Gewehr" war er unter dem Namen Nail Vahdeti bekannt, als Nail Çakýrhan kannte ihn kaum jemand, obwohl er schon über die Grenzen hin bekannt war. Geboren wurde er 1910 in Ula als erstes Kind von Frau Halise, aus der Molla Ahmat Familie und Herrn Ali, aus der Hacý Çakýrhan Familie. Zu dieser Zeit zählte Ula etwa 3000 Einwohner, kleine gewundene enge Straßen, große Gärten, in denen die weiß getünchten Häuser im Schatten großer alter Bäume standen, wo jedermann etwas produzierte, jeder seine Bedürfnisse deckte, so daß es wirtschaftlich ausreichte; Menschen, die Ruhe und Fröhlichkeit liebten. Dort begannen die Spuren von Nail Çakýrhan. Hier war die Quelle für seine schöpferischen Gedanken. 1914 warf der Erste Weltkrieg die Schatten auf seine glückliche Kindheit. "Das erste, an das ich mich erinnere, ist eine Nacht in der die Erwachsenen am Ofen zusammensaßen. Alle weinten oder waren dem Weinen nahe. Sie sprachen von der Cholera Sie sprachen von Cholera und Kalkgruben. Was Krieg bedeutete, wußte ich damals nicht, aber ich hörte ihren Erzählungen zu..." Die meisten jungen Männer gingen zum Militär. Auf den Feldern arbeiteten nur noch Frauen und alte Männer. Hunger stand vor der Tür... "Ich erinnere mich an meinen Großvater. In seiner Jugend schon war er ein Schneider für Westen. Und solange ich denken kann, war er Schneider. Ein kleiner, den Bart bis auf den Bauch herunterhängender, alter Mann... Sitzend in einem großen Feld, mit einem Stock in der Hand die Kartoffeln ausgrabend, der kleine Mann mit dem langen Bart, dieses Foto ist mir immer vor Augen." Sein Vater wurde nach Kaukasien an die Front geschickt, seine Mutter war schwanger. "An irgendeinem Tag kam ein Brief meines Vaters. Er schrieb, das er Blumen gefunden hatte - und ich war darüber sehr glücklich. Das er damit meinte, er habe die Pocken (Blumenkrankheit) sagten sie mir damals nicht... Eines Tages, als ich mit meinem Großvater vor seinem Laden saß, ging ein sehr dünner Mann die Straße entlang. Auf dem Rücken trug er einen Rucksack - er hatte eher Ähnlichkeit mit einem Gespenst... Niemand erkannte ihn. Es war mein Vater! Was der Krieg aus ihm gemachte hatte, wollte er keinem zeigen..." Seine Kindheit verbrachte Nail in dem sandfarbenen Holzhaus seines Großvaters, das genau neben dem seinen Eltern lag. Lesen und Schreiben lernte er schon vor Schulbeginn von seinem Onkel. So wurde er bei der Einschulung gleich in die zweite Klasse gesetzt und beendete nach sechs Jahren als Bester die Schule. 1921 besuchte er in Muðla die Höhere Handelsschule. Es war das erste Mal, das er Ula verließ. Mit einem Freund mietete er ein Zimmer in einer Herberge. In den Ferien gab es dann die eineinhalb Stundenstrecke von Muðla nach Ula mit dem Pferd zurückzulegen, gab es kein Pferd, liefen sie. Er liebte es mit älteren Schülern zusammen zu sein, aber er war immer ein sehr verschlossenes Kind. In seiner Freizeit las er alle Bücher der Schulbibliothek, so das zum Schulschluß keines mehr ungelesen blieb. Im Jahre 1925 erhielt er durch einen Gehilfen des Gouverneurs in Konya die Möglichkeit, ein Internat zu besuchen. Dort lernte er neben anderen Lehrern auch Ahmet Hamdi (Tanpýnar) und Saadettin Nüzhet (Ergun) kennen. In der zehnten Klasse brachte er dann die Zeitschrift "Kervan" (Karawane) heraus. Aufgrund eines Gedichtes in dieser Zeitschrift wurde er 1927 wegen Beleidigung der Frauen verklagt. Jedoch wurde in einem Schulbuch von Faruk Nafýz Çamlýbel genau dieses Gedicht mit dem Zusatz veröffentlicht, das es nur eine Geschichte wäre. Am Tag der Verhandlung entschied der Richter dann aber, weil es keine Vorstrafen gab, das die Strafe zeitlich verschoben werden sollte. "Ich wußte nicht was verschieben heißt. Doch von den Zuhörern gab es Rufe 'nimm keine Verschiebung'. Ich sagte also 'ich möchte keinen Aufschub'. Die Versammlung des Gerichts lachte und zog sich für 10 Minuten zurück. Danach gab der Richter seine Entscheidung bekannt: 'Alle aufstehen, die Entscheidung wird verkündet'. Ich stand schon, aber ich war klein. 'Ich stehe schon!' Die Anwesenden, Rechtsanwälte und der Richter lachten wieder. Das Urteil hieß: Freispruch." Auch nach dem Gymnasium veröffentlichte er weiter mit seinen Freunden die Zeitschrift 'Halka Doðru' (Direkt fürs Volk) und erhielt mit dem Gedicht 'Alev Yaðmuru' (Feuerregen) wieder große Schwierigkeiten. Es wäre ein Gedicht von Tyrannen und Despoten. Eine Benachrichtigung des Sicherheitsdienstes in Konya brachte ihn erneut ins Gefängnis. Gerade zu dieser Zeit sollte er sich auf seine Reifeprüfung vorbereiten. Nach den Untersuchungen führte ein zuständiger Beamte neben ihm eine Telefonat mit Ankara. Hatte er richtig gehört, was dort am anderen Ende gesagt wurde? 'Lasst das Kind laufen! Das gehört sich nicht...' Atatürk selbst hatte die Entscheidung getroffen. "Ich hatte im Gedicht nicht Atatürk gemeint, sondern die reichen Bauern aus Muðla, die Tyrannen gleichen. Atatürk war für uns Jugendliche ein großartiges Genie, ein anbetungswürdiger Mensch. Ich könnte nicht einmal daran denken ihn zu beleidigen. Das Gedicht war eine großartige Arbeit und sie hatten mir darin die Worte verdreht. Zur Prüfung ging ich dann mit Polizeischutz." Das gleiche Gedicht brachte ihn auch in Istanbul vor Gericht. Nazým Hikmet, der für die Zeitung 'Resimli Ay' (Illustrierter Mond) arbeitete, und dieses Gedicht sehr liebte, sorgte für eine Veröffentlichung in der Schülerzeitung 'Hareket ' (Bewegung) der Rechtswissenschafts- Fakultät. Hinzu kam, das es ganzseitig gedruckt wurde und in extra großen Buchstaben. Der Gerichtsentscheid von Konya war ergebnislos verlaufen, aber der von Istanbul brachte ihm sechs Monate Gefängnis ein. Jedoch nach Ausschöpfung aller Instanzen und Einlegung von Berufung gab es einen Freispruch. Anläßlich dieser Begebenheit lernten sich Nail Çakýrhan und Nazým Hikmet richtig kennen. Nach dem Gymnasium und der mit sehr gut benoteten Reifeprüfung konnte er ein Stipendium an einem staatlichen Hochschulinternat bekommen. Er schrieb sich für die medizinische Fakultät ein. Einige Zeit später dachte er darüber nach, daß das Gehalt eines Doktors von der Krankheit anderer abhängig sei und so wechselte er vom Medizinstudium zu den Rechtswissenschaften. Aufgrund ähnlicher Überlegungen wollte er auch dort nicht länger bleiben. Er entschied sich mit Nazým Hikmet zusammen zu arbeiten. Auf der einen Seite begann er für die "Cumhuriyet Gazete" (Zeitung der Republik) Korrektur zu lesen, auf der anderen Seite studierte er weiter Philosophie an der Literatur Fakultät. Er schrieb in dieser Zeit auch viele Gedichte. Diese veröffentlichte er in der Zeitschrift "Resimli Ay" . Die Freundschaft zu Nazým vertiefte sich in kurzer Zeit. 1930 erschien ihr gemeinsames Buch 1+1=Bir (1+1=Eins). Eine Zeitlang wohnten beide bei den Eltern von Nazým Hikmet. Wegen Gründung einer kommunistischen Organisation gerieten beide zwei Jahre später in Haft. "Im Gefängnis von Caðaloðlu wurde ich von der Polizei gefoltert. Später kam ich mit dreißig unserer Freunde auch ins Gefängnis. In der Haftanstalt von Bursa hatten Nazým und ich den gleichen Schlafraum. Zweieinhalb Jahre verbrachten wir dort und schrieben viele Gedichte..." Durch die Generalamnestie 1933 zum 10. Jahr des Bestehens der Republik, kamen beide 1934 frei. Da er Arbeit benötigte, bewarb er sich erneut bei seinem Landsmann Yunus Nadi. Er wurde Korrekturleser für die Hayat Ansiklopedi (Lebens - Enzyklopädie) bei der Cumhuriyet Gazete (Republik - Zeitung). Er hatte die Folter am eigenen Leib gespürt, er lag im Gefängnis und wusste eigentlich gar nicht, was Sozialismus ist. Um dieses zu erfahren verschwand er 1934, ohne jemandem Nachrichten zu hinterlassen, spurlos. Von Istanbul ging er nach Hopa, mit Hilfe eines Freundes weiter in die Sowjetunion. Er hatte Verbindung zur Komintern und lernte drei Monate im Puschkin Zentrum in Moskau die russische Sprache. Danach kam er an die Moskauer Volksuniversität (KUTV) und studierte zweieinhalb Jahre Sozialismus und Ökonomie. Er sah die Politiker Stalin, Tito, Ho-Chi-Min, Chrustschow und Dimitri, einige davon lernte er persönlich kennen. Um sein Studienfach besser von der Basis kennen zu lernen, arbeitete er in einer Textilfabrik nahe Moskau. "Hier gab es viertausend junge Frauen, alle zwischen 18-20. Vielleicht zehn Männer... Wie sollte ich mich vor viertausend retten? Also heiratete ich." Ihr Name war Taisa. Obwohl es dem Regime nicht zusagte hat er trotzdem geheiratet. Acht Monate später brach der Zweite Weltkrieg aus. Das Regime hielt es für wichtig, daß jeder auf der Seite seines eigenen Landes kämpfte. Er sollte sich sofort auf den Heimweg begeben. Am 27 April 1937 verließ er überstürzt seine hochschwangere Frau und ging mit einigen anderen Türken nach Odessa. Von dort fuhren sie mit einem Transportschiff in Richtung Istanbul. Nach vier Tagen auf offener See ohne einen Hafen anzulaufen, gingen sie in Rumelihisar von Bord. Die Nacht verbrachte er in einem Türkischen Bad in Beyoðlu und erreichte dann heimlich über Bandirma-Ýzmir seine Heimat. Gleich in der ersten Woche in Ula zeigte ihn der Bezirksvorsteher an und er wurde verhaftet. Weil nur ein Verstoß gegen das Einreisen ohne Paß vorlag wurde die geringe Strafe aufgeschoben. Im ersten Monat nach seiner Rückkehr zog ihn das Militär ein. Er kam zum Heer in die Verwaltung. Obwohl er das Recht hatte Offizier zu sein, wurde er als Soldat eingesetzt, dort aber immer gut behandelt. Am Ende des Jahres 1937 brauchte er aufgrund einer Krankheit eine Luftveränderung. Später wurde er von Dienst befreit 1938 begann er für die Tan Zeitung zu arbeiten. Er half in der Bibliothek und machte die Buchführung für einen Kinderschutzverein. Die heute schon in Rente gegangene, aber immer noch arbeitende bekannte Archäologin Prof. Halet Çambel war zu dieser Zeit Assistent an der Universität. Eine junge Frau, die erste türkische weibliche Olympiateilnehmerin, Absolventin der Sorbonne... Die Tochter von Hasan Cemil, einem engen Freund Atatürks. Obwohl die Familie gegen eine Ehe war, heirateten sie trotzdem, heimlich. Liebe, Freundschaft und Verbundenheit stützten ihr Zusammensein. In den ersten Jahren machten sie auch Übersetzungen, um ihr Budget aufzubessern. Im Jahr 1945 wurde Nail V. Sekretär von Sabiha und Zekeriya Sertel, die die Zeitschrift Görüþler (Standpunkte) herausgaben. Die erste Ausgabe der Zeitschrift Görüþler, schlug damals alle wichtigen Auflagenrekorde mit 55000 Exemplaren. Wie auch immer, die zweite Ausgabe sollte nicht erscheinen und dazu kam noch ein Brand in der Tan Druckerei am 4. Dezember 1945.... Als einer der Mitbegründer der Türkiye Sosyalist Emekçi Partisi (Türkische Sozialistische Arbeiter Partei), die 1946 geschlossen wurde, verurteilte man ihn und wieder kam er durch Amnestie nach vier Jahren aus dem Gefängnis frei. Fünfzehn Tage später verließ er das Land, um zu Halet Çambel zu gehen , die aus Gesundheitsgründen im Ausland war. Er blieb eineinhalb Jahre in Italien, Frankreich, Österreich und der Schweiz. Als Arbeitsloser kehrte er in die Türkei zurück und gründete ohne zu wissen, wie es weitergehen sollte, eine neue Existenz. Er ging an die Seite von Frau Halet, die in Adana , Karatepe mit Prof. Bossert mit Ausgrabungen beschäftigt war. Die archäologischen Funde mußten zur Restauration, zum Schutz und für Ausstellungszwecke in einem großen überdachten Raum untergebracht werden. Der mit diesen Arbeiten beauftragte Unternehmer verließ ohne Nachfolger seine Aufgabe. Die Durchführung der Pläne des Architekten Turgut Cansever blieb nun Nail Çakýrhan. Er hatte nicht die geringste Ahnung von dieser Materie, nicht einmal einen Nagel konnte er einschlagen. Ununterbrochen las er Bücher, sprach mit den Vorarbeitern und so konnte die Arbeiten erfolgreich abschließen. So entstand das erste türkische Freilichtmuseum und der erste türkische Bau mit Spannbeton. Damit war die Arbeit noch nicht beendet: ein Haus bei der Ausgrabungsstätte, eine Polizeiwache, ein Haus für den Bezirkschef des Forstministeriums und der Bau eines Internats folgten. Diese Zeit der engen Zusammenarbeit zwischen Nail Çakýrhan und Halet Çambel mit Kollegen, offiziellen und dem Volk wurden zu einer vorbildlichen Zusammenarbeit. Das Projekt des Türkischen Geschichtsvereins in Ankara, das wiederum ein Projekt von Turgut Cansever war, sollte 1963 seine nächste Arbeit sein. Danach folgte die Deutschen Realschule, die zum Komplex der deutschen Botschaft gehörte. Im gleichen Jahr begann Halet Çambel in Zusammenarbeit mit der Chicago Universität eine Ausgrabung in Ergani. Dort baute er ebenfalls ein Haus für die Ausgrabungen und half bei den Grabungen. Die Chicago Universität lud das Ehepaar auf Grund seiner Verdienste nach Amerika ein. Außerdem erhielt er eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. Sie können das nicht annehmen. Aufgrund des Intensiven Arbeitslebens waren sie erschöpft und ausgelaugt. 1970 ging er mit seiner Frau auf Anraten seines Arztes nach Gökova. Zum Ausruhen und Erholen war ein Haus nötig. Er kaufte also 2000 qm und begann mit Hilfe zweiter Vorarbeiter einen Bau. In traditioneller Baukunst, verbunden mit der Harmonie zur Umwelt, entstand dieses kleine außergewöhnliche, ästhetische Wunderwerk. Danach kamen viele Aufträge. Freunde, Bekannte - alle wollten ein Haus von ihm, auch touristische Institutionen. Niemandem konnte er absagen. 1983 passierte dann etwas, womit niemand gerechnet hatte. Nail Çakýrhan erhielt den hochbewerteten Aða Han Uluslararasý Mimarlýk Ödülü (Internationaler Preis für islamische traditionelle Architektur ). Er hatte niemals Architektur studiert, alles sich selbst beigebracht, ist so ein Mensch würdig genug dafür - dieser Beschluß sorgte für große Unruhe in akademischen Kreisen und noch jahrelang sollten die Themen zeitgemäße und-oder traditionelle Architektur diskutiert werden. Mit den Geldern aus dem Preis restaurierte er in Muðla das alte Kultur-Zentrum. Danach kamen Hotels, Feriendörfer wie Letonia und Montana. In Gökova, Dalyan, Bodrum, Muðla, Datça und Fethiye entstanden wunderschöne unvergeßliche, das Gestern mit dem Morgen verbindende Bauten, die seinem Namen einen legendären Ruf einbrachten. Ein einfacher und bescheidener Mensch, das ist Nail Çakýrhan. Ein im Licht wandelndes lachendes Kind, ein Mann aus dem Volk von Ula... Ein universeller Intellektueller... Ein Dichterarchitekt für alles und jeden offen... Seine Phantasien, seine Kraft dies hervorzubringen, seine Lust am produzieren, scheint auch mit seinen 86 Jahren nicht verbraucht zu sein. PIS. NURSEL DURUEL entnahm einiges aus dem Buch "Daha çok onlar yaþamalýydý" (Sie sollten noch länger leben) von Nail Çakýrhan. Es wurde 1996 geschrieben.
|